Mittwoch, 17. Oktober 2012

11. Endstation KZ Groß Rosen - Karl Otto Zielke

Vorwort


Als ich im Frühjahr 1958 im Alter von neun Jahren aus dem Erziehungsheim Gotteshütte in das evangelische Waisenhaus Marthaheim in Gladbeck verbracht wurde, veränderte sich doch einiges in meinem Leben zum Positiven, und ich hatte wesentlich mehr Freiheiten, als es zuvor der Fall gewesen war. Auch gesundheitlich ging es mir ab dem Zeitpunkt besser. 
So war es mir von nun an möglich, nahezu jeden Sonntag meine Großmutter in Gladbeck zu besuchen. Erst geschah dies mit meinen anderen vier Geschwistern, die im Waisenhaus untergebracht waren, später genoss nur ich allein dieses Privileg. Meiner Großmutter wurde es wohl zuviel uns alle zu verköstigen, und zu beaufsichtigen, denn sie hatte nur eine kleine Zweizimmerdachgeschosswohnung (Wohnküche/Schlafzimmer). Ein hellbrauner Kachelfofen mit gußeisener Herdplatte wurde ganzjährig beheizt, denn er diente zugleich als Kochstelle für das tägliche Mittagessen. Die Toilette, die mit anderen Nachbarn geteilt werden musste, befand sich eine Treppe tiefer. 
Viel Liebe und Zuwendung erfuhr ich in der damaligen Zeit von ihr, ohne dies in gleicher Weise zu erwidern. Sie war in zweiter Ehe verheiratet, und nach und nach, und mit der Zeit, kam ich auf meinen ersten Großvater zu sprechen. Viel erzählte sie nicht, aber meine Neugierde war geweckt und hält bis heute an.

Datei:Gross Rosen 2.JPG
Quelle: Wikilpedia Endstation KZ Groß Rosen
So erfuhr ich von ihr, dass sie und mein Großvater von Nachbarn aus dem Hause wegen Verstoßes gegen die Reichsrundfunkverordnung angezeigt wurden, in Schutzhaft kamen, und in ein Lager nach Gladbeck-Zweckel verbracht wurden. Während die Großmutter nach gut sechs Wochen wieder frei kam, wurde mein Großvater weiter inhaftiert, und soll letztlich in einem KZ verstorben sein. Das war meine Ausgangssituation zu meinem Großvater, und es beschäftigt mich bis heute, mehr denn je.

Jahrzehnte später, ich ging schon auf die Vierzig zu und meine Lebenssituation hatte sich gegen früher mehr stabilisiert, sieht man mal von einem intakten sozialen Umfeld ab, bekam ich wieder ein größeres Interesse daran, wer eigentlich meine Vorfahren sind, und wie und wo sie früher gelebt hatten. Dafür schrieb ich zwei Personen mit dem Namen Zielke in Gladbeck an, die ich mir aus einem Telefonbuch herausgesucht hatte, legte den Briefen eine an mich frankierte Postkarte bei, in der Hoffnung, damit den Bruder Paul meines Großvaters zu erreichen. Anfang der sechziger Jahre hatte ich ihn einmal persönlich kennengelernt, als meine Großmutter ihn besuchte und mich mitgenommen hatte. 
Nach geraumer Zeit kam eine der Postkarten zurück, und eine Person mit dem Namen Alfred Zielke hatte geantwortet, und er war der Sohn von Paul Zielke. Bald darauf konnte ich mir von einem damaligen Freund sein Auto, eine "Ente", leihen, und besuchte von Hamburg aus losfahrend, den Cousin meines Vaters. Am späten Nachmittag erreichte ich mein Ziel.
Er schien sehr wohlhabend zu sein. Ein schöner Vorgarten und ein großes helles fast neues Haus erwartete mich, und man hatte mich schon vom Fenster aus gesehen. Ein großer Mann öffnete mir die Tür, gab mir die Hand, schmunzelte ein wenig über mein Auto und meine Kleidung, war aber sehr freundlich und zuvorkommend. Man bat mich ins gemütliche Wohnzimmer und seine Frau kochte Kaffee, und setzte sich dann mit uns an den Tisch. Der Bruder meines Großvaters, Paul Zielke, war zwischenzeitlich verstorben, nur noch seine Frau lebte mit im Haus, war aber zuckerkrank, und hielt sich in den oberen Räumen auf. Alfred Zielke erzählte mir auf Nachfrage kurz, dass er meinen Vater gekannt habe, aber ein vertiefendes Gespräch über ihn gab es nicht. Dann kamen wir auf meinen Großvater Karl Otto zu sprechen, sowie auch auf sein familiäres Umfeld, woran ich sehr interessiert war. Gerne hätte ich mir gleich Notizen gemacht, empfand dies aber als unhöflich gegenüber meinen Gastgebern, und so holte ich dies zu einem späteren Zeitpunkt nach.
Mein Großvater Karl Zielke war zunächst in Gladbeck-Zweckel in Schutzhaft gekommen, soll dann nach Teufelsmoor nahe bei Münster verbracht worden sein, und kam später ins KZ Groß Rosen. Von dort kam dann irgendwann eine Benachrichtigung nebst einer Urne, dass er verstorben sei. Weitere Nachforschungen seitens seiner Familie wurden nicht angestellt, man hätte es auch für die damalige Zeit als viel zu gefährlich angesehen. Zwischen seiner Verhaftung und seinem Tod soll ungefähr ein Jahr gelegen haben. Leider traute ich mich nicht zu fragen, ob der Cousin meines Vaters evtl. im Besitz der Benachrichtigung (Totenschein) sei, und mir vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt eine Kopie derselben zur Verfügung stellen könne.
Aufschlussreich war das sich dann ergebende Gespräch bezüglich unserer gemeinsamen Vorfahren. Der Großvater meines Großvaters hatte zwei Söhne und war Bauer in Posen, ob nun Stadt oder Land, habe ich nicht nachgefragt. Er hatte einen kleinen Kotten, aber nur einer der Söhne konnte erben. So ging der der andere Sohn, Josef Zielke, nach Bütow und war dort als Regimentssoldat des Kaisers stationiert. In Bütow lernte er auch seine Frau Martha kennen, mit der er sieben Kinder zeugte; sechs Jungen und ein Mädchen. Wo diese Kinder im einzelnen geboren wurden, ist mir nicht bekannt, aber Paul und Karl Otto sind in Bütow geboren. Josefs Frau, Martha, hatte einen Bruder der der Arbeit wegen ins Ruhrgebiet gegangen war, und so zogen auch sie quasi als Wirtschaftsflüchtlinge ins Ruhrgebiet. So sind dann später die Kinder der beiden im Ruhrgebiet in verschiedenen Städten ansässig geworden. So soll zu der Zeit meines Besuches ein Josef Zielke in Dorsten und ein Franz Zielke in Lünen gewohnt haben. Auch meine Großmutter , sie verstarb 1970, erzählte mir damals von Angehörigen im Ruhrgebiet, was ich aber wohnsitzmäßig nicht mehr genau bestimmen kann.
Alfred Zielke, den ich besuchte, war schon Ruheständler und er hatte noch eine Verabredung nach meinem Besuch, und wollte zum Schwimmen fahren. Wohl eine gute Stunde hatte mein Besuch gedauert, und danach brachen wir auf. Er fuhr mit seinem Auto vorweg und brachte mich nach einigen Kilometern zu einer Kreuzung, wo wir uns dann winkend verabschiedeten. Schade, dass ich den Kontakt nicht aufrecht erhalten habe, sage ich heute. 
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Meine bisherige Recherche zu meinem Großvater führte zu folgendem Ergebnis: Der Veröffentlichung steht nichts entgegen, wie mir versichert wurde.


Sehr geehrter Herr Zielke,

Sie können die Informationen zu Ihrem Großvater unter den angegebenen Signaturen zitieren und auch an die Gedenkstätte Groß-Rosen weitergeben.

Mit freundlichen Grüßen
i.A. Monika Liebscher
Archiv



Sehr geehrter Herr Zielke,

in Beantwortung Ihrer Anfrage zu Karl Zielke, geb. 4.2.1904 möchte ich Ihnen folgendes mitteilen.

Fast alle Akten der Kommandantur des KZ Sachsenhausen einschließlich der Häftlingskartei und nahezu aller Häftlingsakten sind von der SS im Frühjahr 1945 noch vor der Befreiung des KZ vernichtet worden. Die wenigen, unvollständig erhalten gebliebenen Akten befinden sich in verschiedenen Archiven, größtenteils in Archiven der Russischen Föderation. 
Die häftlingsbezogenen Informationen dieser Unterlagen sind in unserem Archiv in Datenbanken erfasst.

In unseren Datenbanken konnten Einträge zu Karl Zielke ermittelt werden. Demnach ist er am 2.11.1940 als Zugang im Sachsenhausen registriert worden. Woher er kam, ist leider nicht angegeben. Im Januar/Februar sowie im März und Juni 1941 war er im Krankenrevier gemeldet. Am 18.9.1941 überstellte man ihn dem KZ Groß-Rosen.
Ich sende Ihnen die Informationen anliegend zu Ihrer Kenntnis.

Ich kann Ihnen noch empfehlen, eine Anfrage an den Internationalen Suchdienst zu richten. Dieser ist seit Jahrzehnten als zentrale Erfassungsstelle aller im In- und Ausland verwahrten Unterlagen über Konzentrationslagerhäftlinge tätig.


Mit freundlichen Grüßen
i.A. Monika Liebscher

Archiv
Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen
Straße der Nationen 22
D-16515 Oranienburg 

Nun die mir zur Verfügung gestellten Informationen mit Quellenangaben:
Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten / Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen, Straße der Nationen 22, 16515 Oranienburg

Oranienburg, 12.11.2012

Auskunft zu einem ehemaligen Häftling des KZ Sachsenhausen

ZUR PERSON:
Familienname: Zielke
Vornamen: Karl
Geburtsdatum: 04.02.1904
ZUR HAFTZEIT IM KZ SACHSENHAUSEN:
Häftlingsnummer: 033960
Meldung: Zugang
am: 02.11.1940
ANGABEN ZUR QUELLE:
Quellenart: Sonderliste
Institution: Konzentrationslager Sachsenhausen
PROVENIENZ DES ORIGINALS:
Russisches Staatliches Militärarchiv, Moskau
1367/1/196, Bl. 416
SIGNATUR IM ARCHIV SACHSENHAUSEN:
D 1 A/1196, Bl. 416
ZUR PERSON:
Familienname: Zielke
Vornamen: Karl
ZUR HAFTZEIT IM KZ SACHSENHAUSEN:
Häftlingsnummer: 033960
Meldung: Abgang/[aus dem Krankenbau]
am: 05.02.1941
Weitere Angaben zur Person: seit 11.1.41 im Krankenbau
ANGABEN ZUR QUELLE:
Quellenart: Veränderungsmeldung des Krankenbaus
Erstellungsdatum: 05.02.1941
Institution: [Konzentrationslager Sachsenhausen/Krankenbau]
PROVENIENZ DES ORIGINALS:
Russisches Staatliches Militärarchiv, Moskau
1367/1/54, Bl. 320
SIGNATUR IM ARCHIV SACHSENHAUSEN:
D 1 A/1054, Bl. 024
ZUR PERSON:
Familienname: Zielke
Vornamen: Karl
ZUR HAFTZEIT IM KZ SACHSENHAUSEN:
Häftlingsnummer: 033960
Meldung: Zugang [im Krankenbau]
am: 22.03.1941
ANGABEN ZUR QUELLE:
Quellenart: Veränderungsmeldung des Krankenbaus
Erstellungsdatum: 22.03.1941
Institution: [Konzentrationslager Sachsenhausen/Krankenbau]
PROVENIENZ DES ORIGINALS:
Russisches Staatliches Militärarchiv, Moskau
1367/1/54, Bl. 274
SIGNATUR IM ARCHIV SACHSENHAUSEN:
D 1 A/1054, Bl. 070
ZUR PERSON:
Familienname: Zielke
Vornamen: Karl
ZUR HAFTZEIT IM KZ SACHSENHAUSEN:
Häftlingsnummer: 033960
Häftlingsblock: 51
Meldung: Zugang [im Krankenbau]
am: 20.06.1941
ANGABEN ZUR QUELLE:
Quellenart: Veränderungsmeldung des Krankenbaus
Erstellungsdatum: 20.06.1941
Institution: [Konzentrationslager Sachsenhausen/Krankenbau]
PROVENIENZ DES ORIGINALS:
Russisches Staatliches Militärarchiv, Moskau
1367/1/54, Bl. 186
SIGNATUR IM ARCHIV SACHSENHAUSEN:
D 1 A/1054, Bl. 158
ZUR PERSON:
Familienname: Zielke
Vornamen: Karl
Geburtsdatum: 04.02.1904
ZUR HAFTZEIT IM KZ SACHSENHAUSEN:
Häftlingsnummer: 013960
Häftlingsblock: 51
Meldung: Transport
am: 18.09.1941
Überführung nach: Groß-Rosen
ANGABEN ZUR QUELLE:
Quellenart: Transportliste
Erstellungsdatum: 18.09.1941
Institution: [Konzentrationslager Sachsenhausen]
PROVENIENZ DES ORIGINALS:
Archiv Sachsenhausen
FSB-Archiv, Moskau
SIGNATUR IM ARCHIV SACHSENHAUSEN:
R 214/M 55, Bl. 050

Diese Angaben sind in einer Datenbank der Gedenkstätte quellengetreu elektronisch erfaßt.
Für ihre Richtigkeit und Vollständigkeit können wir nicht garantieren.
Anmerkungen:
Aufgrund von Verständigungsproblemen zwischen Häftling und Lagerschreiber kam es häufig vor,
dass Namen und Daten von Häftlingen falsch registriert wurden. Für Richtigstellungen und weitere
biographische Informationen wären wir Ihnen dankbar.
Bei der Datenerfassung können die flg. Probleme aufgetreten sein:
*) Die Angabe tauchte in der Quelle in zweiter Schreibweise auf.
**) Die Quelle war z.T. unleserlich, so dass eine zweite Namensvariante erfasst bzw. schlecht
entzifferbare Buchstaben oder Ziffern durch Unterstrich gekennzeichnet wurden.
***) Die Information wurde zu einem späteren Zeitpunkt, der nicht ermittelt werden konnte,
handschriftlich nachgetragen.

Dank der KZ Gedenkstätte Sachsenhausen, wurde es mir ermöglicht, zu erfahren, wann mein Großvater dort eingewiesen wurde, und wie lange er dort untergebracht war. Nämlich vom 02.11.1940 bis  zum 18.09. 1941. Nicht feststellen ließ sich, von welcher Einrichtung er dem KZ Sachsenhausen zugeführt wurde. Gesichert ist, dass er in Gladbeck verhaftet wurde, und zunächst in einem Lager in Zweckel untergebracht war.
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Von Sachsenhausen wurde mein Großvater nach Groß Rosen überführt, auch hierzu die mir zur Verfügung gestellten Quellen aus dem heutigen Polen.

Sehr geehrter Herr Zielke,
 
auf der Basis von Archivdokumenten der Gedenkstätte Groß-Rosen möchten wir Sie mitteilen, dass:
Karl Zielke, geb. am 4.02.1904 in Büler; Beruf: Schuster; vor dem Krieg wohnhaft in Gladbeck. Er befand sich im KL Sachsenhausen (Häftlingsnr. 13960). Am 10.09.1941 wurde er im KL Groß-Rosen (Häftlingsnr. 1381) eingesetzt.
Der Name von Karl Zielke befindet sich auf einer Liste der Häftlinge, die am 16.12.1941 in die „Euthanasie“-Anstalt in Bernburg selektiert wurden.
Karl Zielke starb am 30.03.1942 im KL Groß-Rosen.
 
Quellen:MGR-A, Sign. 6030/DP – Liste der Häftlinge, die in die „Euthanasie“-Anstalt in Bernburg selektiert wurden
MGR-A, Sign. 6823/DP – Transportsliste der Häftlinge vom KL Sachsenhausen in das KL Groß-Rosen
MGR-A, Sign. 1856/DP – Todesurkunde, ausgestellt vom Standesamt Groß-Rosen
 
 
Mit freundlichen Grüßen
 
Leokadia Lewandowska
Sammlungsabteilung
Gedenkstätte Groß-Rosen

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Auch zu dieser Information muß ich weitere Nachforschungen anstellen. Es erschließt sich mir nicht genau, ob mein Großvater in der Euthanasieanstalt Bernburg ums Leben kam, und zu einem späteren Zeitpunkt die Todesurkunde vom Standesamt Groß Rosen ausgestellt wurde. So eine Praxis war bei den Nazis durchaus nicht unüblich.


File: Gaskammer Bernburg.jpg
Die Gaskammer der Anstalt in Bernburg, Quelle: Wikipedia


Ich hoffe aber bald einen Bescheid von der Internationalen Suchstelle in Arolsen zu bekommen, an den ich mich mit detaillierten Angaben vor gut drei Monaten gewandt habe.
http://www.its-arolsen.org/de/startseite/index.html
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Am Freitag, den 20.04.2013, man achte auf das Datum (Hitlers Geburtstag) erhielt ich Post aus Bad Arolsen, dem internationalen Suchdienst für Verfolgte des Naziregimes, aber auch sonstiger Vermisster. Nach und nach verdichten sich die Anzeichen, dass mein Großvater Karl Otto Zielke in Bernburg ein Opfer der Aktion "Sonderbehandlung 14f13" wurde. 

"...Häftlingsnummer 1381; wurde am 19. März 1942 zur "Heil- und Pflegeanstalt Bernburg" überstellt; wurde auf Anzeige der Lagerkommandantur  des Konzentrationslagers Gross Rosen  als verstorben gemeldet - der Tod wurde vom Standesamt Gross Rosen am 31.März beurkundet mit Todeszeitpunkt 30. März 1942 - 5.00 Uhr, Todesort: Konzentrationslager Gross Rosen, Todesursache: Durchfall bei Kreislaufschwäche. -/-" 

(Teilweise widersprechen sich die Angaben in den mir zugänglichen Quellen, gesichert ist aber, dass mein Großvater in Bernburg ums Leben kam. Dies konnte ich heute telefonisch mit der Gedenkstätte in Bernburg in Erfahrung bringen. (24. April 2013)
Tod in Bernburg.
Tötungsanstalt Bernburg
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Stolperstein-Verlegung in Gladbeck am 16.Dezember 2015


Gedächtnisprotokoll vom 15. Januar 2016: Im Vorfeld meiner Reise nach Gladbeck hatte der Geschichtslehrer vom Riesener Gymnasium Herr Malzahn Kontakt mit mir aufgenommen. So war alles gut organisiert. Eine Fahrkarte wurde mir mit der Post zugesandt und ein Zimmer im Hotel Stadt Gladbeck war für mich reserviert worden.
Bei trübem Wetter trat ich am 15. Dezember 2015 in Hamburg meine Reise an, und fuhr über Bremen, Osnabrück, Münster, Hamm, Dortmund, Bochum nach Essen, wo ich gegen 15.00 Uhr ankam. Im Ruhrgebiet schien zeitweilig die Sonne. Von Essen aus ging es mit einer Regionalbahn über Bottrop nach Gladbeck. Dort holte mich Herr Malzahn vom Bahnhof West ab, und fuhr mich zu meiner Unterkunft.
Während der Autofahrt zum Hotel und im Hotel erfuhr ich von Herrn Malzahn einiges über meine Großeltern. So hatte meine Großmutter 1947 Wiedergutmachung für ihre Unterbringung im Frauen-KZ Ravensbrück beantragt, die abgelehnt wurde, weil man ihr vorwarf, einen liderlichen Lebenswandel geführt zu haben. Außerdem sollen meine Großeltern Streit mit Nachbarn gehabt haben. In der Folge wurden sie denunziert und kamen am 27.August 1940 in Schutzhaft in Gladbek-Zweckel. Nach dem Gespräch mit Herrn Malzahn verabredeten wir uns auf den folgenden Tag um 10.00 Uhr an der Horster Str. 19, wo dann der Gedenkstein für meinen Großvater Karl Otto Zielke verlegt werden sollte.
Mittlerweile war es spät am Nachmittag, es wurde dunkel, und ich entschloss mich noch ein wenig durch meine Heimatstadt zu schlendern. In der Stadt war es weihnachtlich und vieles hatte sich verändert. Wo früher die Straßenbahnen fuhren, waren jetzt Fußgängerzonen eingerichtet, auch das Haus in dem meine Großeltern einst wohnten, gab es nicht mehr. An dessen Stelle stand ein Neubau mit großen Fenstern, wo dass viel Licht im Haus sich breit machen konnte. Erinnerungen kamen hoch, an die Lambertikirche und auch an die Eisdiele, die es immer noch gab. Etwas aufgewühlt ging ich zum Marktplatz, der viel schmucker war, als früher, und wo ich oft mit meiner Großmutter zum Einkaufen war. dort setzte ich mich einige Zeit auf eine Bank, denn das Wetter war mild. Eher zufällig sah ich die Redaktion der WAZ (Westdeutsche Allgemeine Zeitung), als ich wieder zum Hotel zurückgehen wollte. Ich betrat die Räumlichkeiten, um einen Artikel zu suchen. Am 09. Dezember hatte es nämlich im Gemeindehaus der Christuskirche, genannt nach Bonhoeffer, eine Gedenkveranstaltung zur Stolpersteinverlegung gegeben. Da ich den Artikel nicht fand, sprach ich einen Redakteur deswegen an. "Sind sie Herr Zielke aus Hamburg", fragter er mich, was ich bejahte.Daraufhin bat er mich an seinen Schreibtisch und machte sich Notizen zu meiner Person, weil er tags darauf einen Bericht zur Verlegung der Stolpersteine schreiben wollte. Wir hatten ein gutes Gespräch und ich machte ihn auf mein Blog aufmerksam, den er in seinem Artikel verlinken wollte.Recht zufrieden verließ ich die Redaktion und ging zu meinem Hotel.
Am Abend erwartete ich meine Cousine Gitte und ihren Mann Karl-Hans. Sie wohnen in Duisburg und nun nach zwanzig Jahren konnten wir uns mal wieder sehen. Gegen 19.00 Uhr war es dann so weit. Gitte und ihr Mann erschienen im Hotel und hatten mir Geschenke mitgebracht. Wir hatten uns viel zu erzählen. Mit Gitte habe ich in der Horster Str. 19 meine ersten Lebensjahre verbracht, aber daran habe ich keine Erinnerungen mehr. Ich führe das auf posttraumatische Belastungsstörungen zurück, die bei mir wohl schon sehr früh eingesetzt haben und die noch mal ganz stark wurden, als ich 13 Jahre alt war. Der Abend war wirklich nett, und unsere Gespräche waren sehr intensiv, und bezogen sich auf das familiäre Umfeld, vor allen Dingen dessen Schattenseiten. Die Stunden flogen dahin, und spät brachte ich meine Cousine und ihren Mann zu ihrem Auto. Der Abschied war herzlich.

Als ich wieder ins Hotel wollte, hatte ich Schwierigkeiten, da man den Eingang nur mit einem Code betreten konnte. Zum  Glück kam ebenfalls der Kölner Künstler (Stolpersteinverleger) Gunter Demnig zurück, der meine Zimmernachbar war, und mir behilflich war, als ich mein Zimmer betreten wollte.

Gedächtnisprotokoll vom 16. Januar 2016: Die vergangene Nacht hatte ich schlecht geschlafen. Rechtzeitig machte ich mich bei Nieselregen auf den kurzen Weg zum Bonhoeffer-Gemeindehaus der Christuskirche. Dort war ich zum Frühstück bei Pfarrerin Hildebrandt eingeladen. Schlechtes Schuhwerk hatte ich an, und mein Schritt war eher humpelnd als gehend.
Im Bonhoefferhaus wurde ich freundlich von Frau Hildebrandt und ihrem Mann begrüßt. Mit beiden hatte  ich vor längerer Zeit von Hamburg aus mal telefoniert. Der Frühstückstisch war reichlich gedeckt und ließ nichts zu wünschen übrig. Als das Tischgespräch auf meine Person gelenkt wurde, kamen meine posttraumatischen Belastungsstörungen wieder hoch, und ich brach in Tränen aus. Mit Nähe und Herzenswärme komme ich ganz schlecht zurecht. In den Kinderheimen Gotteshütte und Marthaheim Gladbeck, sowie zwei weiteren, hatte ich es vergleichsweise gut. Dort gab es Strukturen und Regeln und immer genügend zu essen. Dagegen gab es dies bei den Eltern von 1960 bis 1962 nicht. Oft gab es Schläge und nicht selten bin ich abends hungrig zu Bett gegangen. Die Mutter war ein Nervenbündel. Es war ein Verbrechen uns Kinder diesen Eltern wieder auszuliefern, zumal deren Vorgeschichte aktenkundig beim Jugendamt in Gladbeck war.
Um 9.00 Uhr begann feierlich die Stolpersteinverlegung an der Rentforter Str. 16 und es hatten sich ungefähr 30 bis 50 Personen angesammelt. Ansprachen hielten der Bürgermeister Ulrich Roland, Reile Hildebrandt von der Christuskirche und Roland Kreft vom Gladbecker Bündnis für Courage.Im Gedenken an alle Opfer zitiere ich kurz aus dem Flyer.

1. 9.00 Uhr Verlegung von 6 Steinen: Rentforter Str. 16 für Etli Friedmann, Mendel Friedmann, Minna Friedmann, Max Friedmann, Berta Friedmann, Moses David Friedmann. Paten: Erich-Fried Schule

2. 9.30 Uhr Verlegung von 2 Steinen: Horster Str. 2 für Rubin Mingelgrün, Fanny Mingelgrün. Pate: Frau Roll

3. 9.45 Verlegung von 4 Steinen: Horster Str. 8 für Rosalia Cahn Bieker, Hugo Cahn, Werner Cahn, Günther Cahn. Paten: Ingeborg-Dreiwitz Gesamtschule

4. 10.00 Uhr Verlegung von 1 Stein: Horser Str. 19 für Karl Otto Zielke. Paten: Riesener Gymanasium

5. 10.30 Uhr Verlegung von 5 Steinen: Uhlandstr. 10 für Eva Lewin, Edith Lewin, Harry Lewin Martha Seelig, Siegmund Seelig. Paten: Ratsgymnasium

6. 11.05 Uhr Verlegung von 3 Steinen: Horster Str. 229 für Rachel Schreiner, Moses Schreiner, Adi Schreiener. Paten: Heisenberg Gymnasium

7. 11.25 Uhr Verlegung von 6 Steinen: Herbertstr. 32 für Chaja Endel, Esther Endel, Regina Endel, Sophie Endel, Max Endel, Arnold Goldenhar. Paten: Anne-Frank Realschule, Ratsgymnasium

Für mich war der Vormittag aber auch der ganze Tag sehr eindrucksvoll und bewegend, und mit ganz vielen Menschen kam ich ins Gespräch. Ich kam mir ein stück weit vor wie der Verlorene Sohn, der nach Jahrzehnten ganz herzlich in seiner Heimatstadt aufgenommen wurde.
Im weiteren Verlauf der Stolpersteinverlegung hielt Pfarrerin Hildebrandt eine kurze Ansprache zu den Opfern. Sie hatte ein Mikrofon und einen Verstärker dabei, so dass die ganze Veranstaltung sehr öffentlich von statten ging. Anschließend sprachen die Schülerinnen und Schüler der jeweiligen Schulen über das Leben der Opfer, teilweise wurden Rosen niedergelegt. Auch Medienvertreter waren anwesend und es wurden Fotos gemacht. Die Sicherheit der Verlegung war durch die örtliche Polizei gewährleistet.
Mit einem älteren Herrn führte ich sehr intensive Gespräche. Es stellte sich heraus, dass wir zeitweilig die Lutherschule besucht hatten, wenn auch nicht in der gleichen Klasse. Er nahm mich auch mit seinem Auto mit, da die verschiedenen Stellen der Stolpersteinverlegung doch sehr weiträumig auseinander lagen.
Auch freute es mich, dass ich die Leiterin des Stadtarchivs von Gladbeck Frau Bürgel, sowie andere Personen, etwa die stellvertretende Schulleiterin das Heisenberg-Gymnasium kennen lernen durfte. Frau Bürgel versprach mir, mir mit der Post einige Unterlagen zu meinen Großeltern zukommen zu lassen.

Den Abschluss der Veranstaltung, besser gesagt der Feierlichkeiten, blldete eine Einladung iss Bonhoeffer-Gemeindehaus, wo wir an einem großen Tisch ein kleines Mittagsmahl zu uns nahmen. Wir waren wohl ein Dutzend Leute oder etwas mehr, darunter auch der Künstler Gunter Demnig. Wieder gab es viele Gespräche, un die Erlebnisse des Vormittags zu verarbeiten.
"Kommen Sie zur Ruhe - mit Gott", gab mir Pfarrerin Hildebrandt wohlmeinend und auch etwas mahnend mit auf den Weg, als ich mich verabschiedete, und schenkte mir dabei die Dokumentationen der Stolpersteinverlegungen aus den Jahren 2009, 2010 und 2012. Dann brachte mich der Geschichtslehrer Herr Malzahn mit seinem Auto zum Bahnhof Gladbeck West.

Ich bin so unendlich vielen Menschen dankbar und zu Dank verpflichtet, dass es nun möglich ist, meinem Großvater Karl Otto Ziellke würdig zu gedenken. An dieser Stelle auch noch mal meinen Dank an den Redakteur Herr Bresgott von der WAZ, der einen wunderbaren Artikel zur Stolpersteinverleglung geschrieben hat.

Erwähnt sei noch ein Mann, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Stolpersteine in Gladbeck zu pflegen, und zu bewahren. "Die Nazis hätten mich auch umgebracht" sagter er mir, denn er leidet unter einer Krankheit, die nicht ganz selten ist.


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